Mann mit zwei Gesichtern

Giuliano Bignasca ist gestern überraschend gestorben. Als Gründer und Seele der Protestpartei Lega dei Ticinesi hat er in 20 Jahren die politische Kultur der Südschweiz nachhaltig umgepflügt.

Gerhard Lob
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Die politische Landschaft im Tessin verändert: Giuliano Bignasca starb kurz vor seinem 68. Geburtstag. (Bild: ky/Karl Mathis)

Die politische Landschaft im Tessin verändert: Giuliano Bignasca starb kurz vor seinem 68. Geburtstag. (Bild: ky/Karl Mathis)

LUGANO. Er provozierte. Und duzte alle. Bei Fernsehdebatten war er nicht zu bändigen. Doch nun ist seine Stimme verstummt. Giuliano Bignasca verstarb gestern in seiner Wohnung in Lugano-Canobbio. Offenbar ein Herzversagen. Am 10. April wäre er 68 Jahre alt geworden. «Mit deinem plötzlichen Tod hast du uns alle ein letztes Mal überrascht», hiess es in einem der zahllosen Blogeinträge. Unglauben, Konsternation und Trauer herrschten im ganzen Tessin, selbst bei den politischen Gegnern. Auch im Bundeshaus verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer.

Rüde, aber genial

Ein Tessin ohne Bignasca? Eigentlich unvorstellbar. 20 Jahre lang hat dieser Mann, der wegen seiner bescheidenen Körpergrösse von allen «Nano», der Zwerg, genannt wurde, das politische Geschehen massgeblich mitbestimmt. «Irgendwie dachten wir, er sei unsterblich», brachte es der aufgewühlte Lega-Regierungsrat Marco Borradori auf den Punkt.

Nano Bignasca war in jeglicher Hinsicht ein unkonventioneller Politiker. «Ein rüder Mensch, aber genial», sagte Roberto Maroni, Leitfigur der italienischen Schwesterpartei Lega Nord. Angefangen hatte Bignasca ganz unten, schon als Jugendlicher arbeitete er im Steinhauerbetrieb des Vaters. Zusammen mit seinem Bruder Attilio baute er über die Jahre ein Baugeschäft und Immobilienimperium auf.

Bescheiden gelebt

Obwohl er schliesslich mit Millionen jonglierte, führte er persönlich ein bescheidenes Leben. Mietwohnung und Kleinwagen reichten ihm. Einen Schlips hat er nie gebunden. Polo-T-Shirt und halblange Haare waren sein Markenzeichen. Er war stolz, seinen Firmensitz im Arbeiterquartier Molino Nuovo von Lugano zu haben. Das war seine Heimat. In seinem – im Übrigen immer akkurat aufgeräumten – Büro zeigte er gerne eine Foto, die ihn als schnittigen Fussballer in Jugendjahren beim FC Lugano abbildete.

Ende der 1980er-Jahre entdeckte Bignasca seine rebellische Seite und die Macht der Medien. Er gründete und finanzierte die Zeitung «Mattino della Domenica» und zog gegen das Establishment zu Felde. 1991 folgte dann zusammen mit Flavio Maspoli die Gründung der Lega dei Ticinesi, deren Programm er immer so zusammenfasste: Nein zur EU, Ja zum Bankgeheimnis und «Das Tessin den Tessinern». Parteistrukturen und Kongresse? Nein danke. Dafür gab es Bignasca – den unumstrittenen Präsidenten auf Lebenszeit und sein Sprachrohr «Mattino».

Gegner fertig gemacht

Mit ihrem Anspruch, die Macht und Machenschaften der historischen Parteien FDP und CVP im Kanton brechen zu wollten, eroberte sich die Lega bei vielen Tessinern Sympathien. Fast schon euphorisch war die Stimmung in den Anfangsjahren. Bignasca feierte Erfolge, doch er ging für seine Ziele auch über Leichen. Dazu gehörten Kampagnen gegen Ausländer, Asylsuchende und Grenzgänger. Mit grobschlächtigen Sprüchen und geschmacklosen Karikaturen machte er seine Widersacher regelmässig im «Mattino» fertig. Einige seiner Opfer leiden heute noch unter den unsäglichen Attacken. Nur wenige wagten aufzumucken. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass er wiederholt wegen Verleumdung und übler Nachrede verurteilt wurde. Es hat ihn nicht gejuckt, genauso wenig wie eine Gefängnisstrafe wegen Kokainkonsums. Die Deutschschweizer haben Bignasca nie richtig verstanden. Man sah ihn als kuriosen Politclown. Die Feinheiten seiner Ironie, subtilen Intelligenz und Hinterhältigkeit blieben ennet des Gotthards verborgen, genauso wie seine Menschlichkeit und Grosszügigkeit. Ein Mann mit zwei Gesichtern.