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Wasserstoff-Lkw Die neuen Dampfmaschinen

Was wurde eigentlich aus... Wasserstoff? Während alle Welt über E-Autos mit Batterie redet, planen Lkw-Hersteller mit dem Gas als Treibstoff der Zukunft. Dabei spielt auch der Verbrennungsmotor eine Rolle.
GenH2 heißt der Konzepttruck von Daimler, der mit tiefkaltem, flüssigem Wasserstoff betrieben wird. Gemeinsam mit Volvo will Daimler Brennstoffzellenantriebe entwickeln, die ab 2025 in Fernverkehrs-Lastwagen zum Einsatz kommen sollen.

GenH2 heißt der Konzepttruck von Daimler, der mit tiefkaltem, flüssigem Wasserstoff betrieben wird. Gemeinsam mit Volvo will Daimler Brennstoffzellenantriebe entwickeln, die ab 2025 in Fernverkehrs-Lastwagen zum Einsatz kommen sollen.

Foto: Daimler

Klimaneutralität sei »die Mondmission« der Lkw-Branche. Es klingt pathetisch, wenn Martin Daum, Chef des weltweit größten Lastwagenherstellers Daimler Truck, über die Entwicklung CO2-neutraler Brummis spricht. Doch das Bild einer Reise zum Mond illustriert ganz gut, vor welcher Herausforderung der Transportsektor steht.

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Wasserstoff-Lkw für den Fernverkehr

Foto: Nikola

Sehr weit gekommen sind die Lkw-Hersteller auf diesem Weg allerdings noch nicht. Lediglich ein Lkw und zwei Sattelzugmaschinen mit Wasserstoffantrieb waren laut Kraftfahrt-Bundesamt Anfang vergangenen Jahres in Deutschland zugelassen. Neuere Zahlen liegen noch nicht vor, doch nach allem, was aus der Branche zu hören ist, wären sie kaum höher.

Dabei werden abgasfreie Lkw dringend benötigt. Der Straßengüterverkehr macht mit 41 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß (2019) rund ein Viertel der Verkehrsemissionen in Deutschland aus. Zudem müssen die Lkw-Hersteller den CO2-Ausstoß ihrer Flotten in der EU bis 2025 um 15 Prozent und bis 2030 um 30 Prozent reduzieren, um Strafzahlungen zu vermeiden. Schließlich will Europa bis 2050 CO2-neutral wirtschaften. Als realistische Lösung für alle drei Probleme gilt vielen in der Branche der Wasserstoffantrieb.

100.000 Wasserstoff-Lkw bis 2030 in Europa

Um diese Technologie auf die Straße zu bringen, haben sich 62 Unternehmen – Lkw-Hersteller, Zulieferer, Energieversorger und Logistikbetriebe – zusammengeschlossen. Ihr Ziel: Bis zum Jahr 2030 in Europa rund 100.000 Wasserstoff-Lkw auf den Straßen zu haben und 1500 Wasserstofftankstellen zu errichten. Fast alle etablierten Hersteller und etliche Neueinsteiger arbeiten daran, Wasserstoffantriebe für Lastwagen serienreif zu machen.

Denn was bei Nahverkehrs-Lkw, Lieferwagen, Müllautos, Kehrmaschinen oder Stadtbussen funktioniert – ein Elektroantrieb mit Akku, der auf dem Betriebshof aufgeladen wird – ist bis auf Weiteres wohl keine Option im Schwer- und Fernverkehr. Für die 40-Tonner, die pro Jahr 150.000 Kilometer oder mehr fahren und von denen in Deutschland knapp 60.000 zugelassen sind, ist ein batterieelektrischer Antrieb bisher zu schwer, zu groß und zu teuer.

Wasserstoff bietet sich derzeit eher als Energiequelle an, zumal der sich auf zwei Arten in Vortrieb umwandeln lässt. Entweder mit einer Brennstoffzelle, die aus Wasserstoff elektrische Energie erzeugt, die dann eine E-Maschine antreibt. Oder per direkter Verbrennung in einem herkömmlichen Kolbenmotor. »Der Einsatz von Wasserstoff in Verbrennungsmotoren ist reizvoll, weil die Technologie den schnellen Einstieg in die Wasserstoffmobilität ermöglicht«, sagt Marc Sens, Fachmann für nachhaltige Antriebe beim Entwicklungsdienstleister IAV in Berlin, der für Lkw-Hersteller diese Technik vorantreibt.

Brennstoffzellen benötigen hochreinen Wasserstoff

Brennstoffzellen wiederum sind kapriziöse Hightech-Apparaturen, die für den Einsatz im Lkw noch zuverlässiger und billiger werden müssen. Da ist es einfacher, bestehende Lkw-Motoren auf Wasserstoff umzustellen. »Es geht dabei auch um die Wasserstoffqualität«, sagt Sens. »Brennstoffzellen sind empfindlich und funktionieren heute nur mit hochreinem Wasserstoff. Ein Verbrennungsmotor hingegen kommt auch mit schlechterer Wasserstoffqualität klar.«

Mittelfristig jedoch gilt die Brennstoffzelle als Ideallösung: Sie hat nicht nur einen potenziell höheren Wirkungsgrad als die Wasserstoffverbrennung. Es entstehen in der Brennstoffzelle auch keine Stickoxide, einziges Abfallprodukt ist Wasserdampf. Vorausgesetzt, dass »grüner«, also klimaneutral erzeugter Wasserstoff zum Einsatz kommt. Eine ausreichende Versorgung mit grünem Wasserstoff wiederum hängt vom Gelingen der Energiewende ab – und ist eine weitere Mammutaufgabe auf dem Weg zur CO2-Neutralität.

Die Lkw-Hersteller entwickeln derzeit Brennstoffzellen für den Einsatz im Nutzfahrzeug, oft mit spezialisierten Partnern. Außerdem wird an Wasserstoff-Tanksystemen gearbeitet, die ein guter Kompromiss aus Größe, Gewicht und Kosten sind. Mit mehr Aufwand lässt sich mehr Wasserstoff in einen Tank pressen, doch das kann teuer sein.

Zahlreiche Hersteller haben sich beim Wasserstoff ambitionierte Ziele gesetzt und Projekte gestartet:

  • Mercedes und Volvo entwickeln zusammen ein Brennstoffzellensystem für Lkw, dessen Serienproduktion in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts beginnen soll. Auch Lkw-Hersteller Renault ist daran beteiligt. Von Mercedes gibt es bisher den Schwerlast-Lkw-Prototyp GenH2, mit zwei Brennstoffzellen, zwei E-Maschinen und zwei Edelstahltanks für 80 Kilogramm Flüssigwasserstoff, der bei minus 253° Celsius gelagert wird.

  • Der Münchner Hersteller MAN entwickelt Wasserstoff-Verbrennungsmotoren als auch Brennstoffzellenantriebe. Außerdem kooperiert MAN-Mutterkonzern Traton mit dem zu Toyota gehörenden japanischen Lkw-Hersteller Hino beim Brennstoffzellenantrieb.

  • Toyota und Hino wollen ab Frühjahr 2022 in Japan Brennstoffzellen-Lkw mit 25 Tonnen Gesamtgewicht in der Praxis erproben. Auch für den US-Markt entwickeln die Firmen einen Brennstoffzellen-Truck. In China arbeitet Toyota mit fünf chinesischen Firmen in der »United Fuel Cell Systems R&D« zusammen, um Brennstoffzellen-Lkw zu entwickeln.

  • Das US-Unternehmen Nikola und Iveco aus Italien wollen noch 2021 in Ulm die Produktion des Modells Nikola Tre starten. Der Lastwagen soll in einer batterieelektrischen Variante und in einer Version mit Brennstoffzellenantrieb (ab 2023) und Wasserstoffdrucktanks gebaut werden. Bosch liefert unter anderem Brennstoffzellen und Zentralrechner.

  • Hyundai fertigt nach eigenen Angaben den ersten schweren Lkw mit Brennstoffzellen-Elektroantrieb in Serie – den Xcient Fuel Cell. Die ersten Exemplare sind in der Schweiz im Einsatz für Speditionen sowie die Handelsketten Coop und Migros. Bis 2025 will Hyundai 1600 dieser Wasserstoff-Lkw dort einsetzen.

  • Die auf Brennstoffzellen-Nutzfahrzeuge spezialisierte US-Firma Hyzon Motors hat im vergangenen Sommer im niederländischen Groningen eine Europazentrale gegründet. Dort sollen auf Basis einer Sattelzugmaschine des Herstellers DAF noch in diesem Jahr die ersten Brennstoffzellen-Lkw gebaut werden.

Der schwedische Hersteller Scania taucht in dieser Auflistung nicht auf – obwohl er Anfang 2020 ein Pilotprojekt mit fünf Wasserstoff-Lkw startete. Jetzt erklärte Scania: Obwohl Wasserstoff ein »vielversprechender Energieträger« sei, werde man sich auf batterieelektrische Lastwagen konzentrieren. Die seien effizienter, robuster und billiger. Damit beschreiten die Schweden einen Sonderweg – wie auch US-Elektroautobauer Tesla mit dem Semi.

Ob und wann sich Wasserstoff-Lkw durchsetzen, scheint also offen. Und die Diskussion über die umweltschonendste Art des Güterverkehrs lässt oft außer Acht, dass es nicht nur um die beste Technologie geht.

»Das CO2-Problem wird nicht allein durch die Umstellung auf Wasserstoff-Lkw gelöst«, sagt Jörn Seebode, Fachbereichsleiter Nutzfahrzeuge bei IAV. »Es geht auch darum, das Transportaufkommen insgesamt im Auge zu behalten, und das bedeutet letztlich, dass wir alle unser Konsumverhalten ändern müssen.«