Skandal in Hollywood Die Akte Weinstein

Um den mächtigen Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein wird es einsamer: Seine Kollegen distanzieren sich, und die Vorwürfe der sexuellen Belästigung werden immer massiver.

Es ist, als wäre ein Damm gebrochen. Nachdem die "New York Times" enthüllt hatte, wie Harvey Weinstein seine Machtposition ausnutzte, um Frauen zu sexuellen Gefälligkeiten zu nötigen, bricht nun auch die A-Prominenz Hollywoods ihr Schweigen. Während er vom Sockel stürzt, der Filmproduzent, der noch vor Wochen fest auf selbigem thronte, führen die USA eine Debatte über Sexismus am Arbeitsplatz.

Gwyneth Paltrow war 22, als ihr Weinstein eine Rolle antrug, mit der sie in die erste Liga des Kinos aufsteigen würde, die Hauptrolle in der Jane-Austen-Verfilmung "Emma". Bevor die Dreharbeiten begannen, bat er sie in ein Hotelzimmer in Beverly Hills. Er habe sie angefasst und sie gedrängt, mit ihm für Massagen ins Schlafzimmer zu gehen. "Ich war noch ein Kind, ich stand unter Vertrag, ich war starr vor Angst", schildert die Schauspielerin.

Sie habe, so erzählte sie es der "New-York-Times"-Redakteurin Jodi Kantor, seine Avancen abgewehrt und sich Brad Pitt anvertraut, ihrem damaligen Freund. Der habe den Mann auf einer Party zur Rede gestellt, worauf Weinstein sie anrief, um ihr in drohendem Unterton zu raten, niemanden sonst einzuweihen. Sie habe gedacht, er würde sie feuern, so erinnert sich Paltrow.

Auch Angelina Jolie hat Ende der Neunziger, als ihre Karriere in Fahrt kam, schlechte Erfahrungen gemacht. Auch ihr habe sich Weinstein in einer Suite zudringlich genähert, schreibt sie in einer E-Mail an Kantor. In der Folge habe sie nie wieder mit ihm gearbeitet - und andere gewarnt, wenn sie es getan hätten.

Während kaum ein Tag vergeht, an dem die Erzählungen über den sexgierigen Mogul nicht um eine verstörende Episode ergänzt werden - die Vorwürfe reichen von sexueller Belästigung bis hin zu Vergewaltigung - tritt die Filmbranche resolut die Flucht nach vorn an. Als könne es gar nicht schnell genug gehen, sich zu trennen von einem eben noch Gefeierten, über den Meryl Streep bei einer Preisverleihung mehr oder weniger augenzwinkernd sagte, dass sie "Gott, Harvey Weinstein" danken wolle.

Der Aufsichtsrat der Weinstein Company, das Studio des Entzauberten, hat bereits zwei Werbeagenturen beauftragt, einen neuen Firmennamen zu finden. Die Filmfakultät der University of Southern California verzichtet dankend auf eine Fünf-Millionen-Dollar-Schenkung. Weinsteins Ehefrau, die 41-jährige Designerin Georgina Chapman, lässt wissen, dass sie die Scheidung anstrebt. Der sprichwörtliche Fall ins Bodenlose.

Und nach Tagen betretenen Schweigens gehen auch jene Politiker auf Distanz, die am meisten von Spenden des Kinomanns profitierten, der sich als progressiver Ratgeber der Demokraten verstand. Barack Obama wie Hillary Clinton haben mit dem Mäzen gebrochen. Wer Frauen derart erniedrige, müsse angeprangert und zur Rechenschaft gezogen werden, unabhängig von Vermögen und Status, erklärten die Obamas, Barack und Michelle, deren Tochter Malia einst ein Praktikum bei Weinstein absolvierte. Clinton kommentiert, sie sei schockiert und angewidert.

Aufgewühlt diskutiert Amerika über die Kultur der Traumfabrik, eine Kultur, bei der mächtige Männer älterer Jahrgänge auf junge Frauen treffen, die genau wissen, was für gewaltige Brocken ihnen die Halbgötter in den Weg legen können. Es habe sich angefühlt wie beim Duell David gegen Goliath, zitiert der Journalist Ronan Farrow, der Sohn Mia Farrows und Woody Allens, eine von Weinstein belästigte Angestellte. Ein typischer Fall: Als sie zu einem vermeintlichen Arbeitsfrühstück erschien, stand er plötzlich im Bademantel vor ihr.

Das Schweigen der Untergebenen erkaufte er sich durch eine Vereinbarung, die sie im Tausch gegen eine hübsche Dollarsumme verpflichtete, das Geschehene für sich zu behalten. "Da war dieser Kerl mit all seinem Geld, seinen Anwälten", zitiert Farrow die Frau. "Er ließ seine Muskeln spielen und schüttelte alles ab, was ich ihm vorgeworfen hatte." Weinstein sei ja in aller Regel auf normale Menschen getroffen, "wundervoll und kompliziert und auf einmal gezwungen, Entscheidungen zu treffen, die sie ein Leben lang begleiten würden", bringt es die Drehbuchautorin Liz Meriwether auf den Punkt. Sie zum Beispiel habe nicht energisch genug widersprochen, als er sie bedrängte. "Ja, ich bin ein Feigling, aber eines steht fest: Schuld ist der Mann im Hotelzimmer."

Ripa Rashid, eine Unternehmensberaterin, die in Talkshows häufig über die allenfalls theoretisch erreichte Gleichstellung von Mann und Frau spricht, hält nichts davon, Hollywood nun zum Sonderfall zu erklären. Auch anderswo, etwa im Silicon Valley mit seinen Hightech-Schmieden, werde nach ähnlichen Regeln gespielt. Die Konzentration der Macht in den Händen einiger weniger Männer, die Karrieren ermöglichen oder verhindern könnten, ebne den Harvey Weinsteins dieser Welt nun einmal den Weg. Männern, die beruflich herausragten und in anderen Belangen Idioten seien. "Brillante Arschlöcher", wie Ripa Rashid sie nennt.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort